Psychoonkologie als Integrativer Dialog
„…und plötzlich ist alles anders…“ (Zitat eines Krebskranken)
Schrittweises Ahnen und Erwartungsangst oder jäher Sturz aus der bisherigen Normalität – die Diagnose einer Krebserkrankung bedeutet immer auch das Infragestellen der bisherigen existenziellen „Sicherheit“. Die verschiedenen Phasen, die sich anschließen, stellen den Erkrankten selbst und die Menschen um ihn herum immer wieder vor körperliche, seelische und geistige Herausforderungen. Diagnose- und Behandlungsphase, Nachsorge- und Remissionsphase, eventuell Rezidiv, Progredienz und palliative Phase. Eine zum Teil langjährige medikamentöse Behandlung mit Nebenwirkungen, das „Damoklesschwert“ der Metastasen. Schock, Verleugnung, Wut, Depression, Verhandeln, Annahme – Entwicklungsverläufe und doch immer wieder auch ein Hin- und Her psychischer Zustände zwischen Angst und Hoffnung.
Psychoonkologische Begleitung ist in jeder Phase möglich und versucht, den unterschiedlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Sie verankert sich in der onkologischen Medizin immer mehr und ist auch in jedem zertifizierten onkologischen Zentren angesiedelt. Diese können jedoch keine ambulante Versorgung nach der Behandlungsphase übernehmen. Hier oder auch, wenn keine andere Betreuung vorhanden ist, kann Hilfe bei einem Psychoonkologen außerhalb der Klinik gefunden werden. Dort gibt die unterschiedlichsten Ansätze und Methoden.
Da bei einer Krebserkrankung immer der ganze Mensch betroffen ist, erscheint mir ein integratives Konzept der Psychoonkologie besonders wirksam. Es kann in meinem Verständnis in zweifacher Weise greifen:
• Die Psychoonkologie versteht sich als Teil einer integrativen Gesamtbehandlungs- und Betreuungsstrategie, da sie ergänzend zur „Körpermedizin“ die Seele in den Mittelpunkt stellt.
• Sie kann darüber hinaus jedoch auch innerhalb des psychoonkologischen Ansatzes selbst integrativ werden: So erscheint es sinnvoll, sich nicht wiederum nur isoliert auf die gedankliche und seelische Dimension zu konzentrieren, sondern direkt auch den Körper mit in die Arbeit einzubeziehen.
Ein einfaches Beispiel für die Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgehens: Bereits die Angst als solche, im Laufe von Krebserkrankungen ein „normales“ Phänomen, wird seelisch und körperlich wahrgenommen. Die Symptome der Angst können sowohl kurzfristig im Moment als auch längerfristig wesentlich besser gelindert und kontrolliert werden, wenn körperorientierte Verfahren wie Qigong oder Yoga integriert werden. Sie nehmen direkt und unmittelbar Einfluss u.a. auf das vegetative Nervensystem. Solche bereits in sich selbst integrative, über Jahrhunderte erprobte und weiterentwickelte Techniken können auch die Achtsamkeit im konkreten Erleben und dem Leben insgesamt gegenüber weiter entwickeln helfen.
Positive Gefühle und Befindlichkeiten können tiefer im Gedächtnis bleiben, wenn sie bewusst im Körper verankert werden und vom Einzelnen selbstständig reaktiviert werden können. Statt einer Emotion oder einem Affekt ausgeliefert zu sein, kann der Mensch dann selbst aktiv auf sein Wohlbefinden Einfluss nehmen und seine Lebensqualität erhöhen.
Heute wird in der Psychoonkologie viel vom Aktivieren der Ressourcen des Patienten und der salutogenetischen Ausrichtung gesprochen: Statt den Fokus auf die Reduktion der Problemkreise zu legen, werden die Anlagen und Fähigkeiten des Einzelnen freigelegt, allgemein menschliche wie individuelle Kraftquellen gefördert. Die Orientierung erfolgt nicht auf die Krankheit hin, sondern auf die Gesundung und Gesundheit des Menschen.
Die existenzielle Angst, die mit einer Krebserkrankung natürlicherweise einher geht, führt manchen Patienten jedoch auch zu einem hektischen Aktionismus („mehr ist besser als weniger“, „kann doch nicht schaden“) und einem Akkumulieren von Methoden, die zum Teil Kontraindikationen aufweisen können. Ebenso häufig und oft unbeobachtete entstehen daher auch unkontrollierte Interaktionen. Der Aktionsdruck kann von innen entstehen, heute aber auch oft von außen kommen: So sagen gerade Freunde und Verwandte von Erkrankten oft, der Patient müsse engagiert sein und „gegen die Krankheit kämpfen“. Ist Kampf aber das richtige Stichwort? Sprechen wir hier wiederum nicht besser von innerer Ausrichtung auf Gesundheit? Auch hier kann ein behutsamer psychoonkologischer Gesprächspartner entlastend sein.
Statt eines hektischen Aktionismus erscheint mir etwas anderes viel wesentlicher: Weitab von Gegenden der Welt, in denen der Mensch Naturkatastrophen, Kriegen und staatlicher Willkür ausgesetzt ist, glauben wir Menschen hier häufig, Kontrolle über alles erlangen zu können und zu müssen, uns gegen alle Widrigkeiten absichern zu können. Die Krebserkrankung macht mit einem Schlag die menschliche Existenz als solche mit ihrer Verletzlichkeit, ihrer Bedrohtheit deutlich. Sie lässt mit einem Mal den in der Normalität des Lebens gesellschaftlich tabuisierten und individuell meist verdrängten eigenen Tod am Horizont oder sogar in der Nähe sichtbar werden.
Gerade wegen dieser existenziellen Herausforderung sind die Chancen der persönlichen Reifung und eines tieferen Menschseins immens. Sie gehen weit über einen erfolgreichen „Kampf“ gegen den Krebs hinaus.
Was also kann ein psychoonkologischer Gesprächspartner für den Patienten tun?
Einen geschützten Raum außerhalb des normalen familiären und beruflichen Umfelds bieten. Seine Fähigkeiten und sein Wissen, seine berufliche Erfahrung zur Verfügung stellen. Beraten, konkrete Hilfestellungen für den Alltag geben. Grundsätzlich jedoch: Einfach da sein, den Krisen standhalten. In einen Dialog treten, der alle Fragen zulässt, ohne immer Antworten finden zu müssen. Der die Gemeinsamkeit der existenziellen Bedingung als Mensch anerkennt. Der authentische Begegnung ist und über die Krebserkrankung hinaus die Frage nach einem sinnhaften, ganzen Menschsein stellt und dabei alle Entdeckungen zulässt:
„…das, was wir für unsere Stärke halten, kann etwas ganz anderes sein als das, was wirklich unsere Stärke ist.“ (R. N. Remen)